Verein zur Förderung des Ägyptischen Museums e.V.

Zum vorherigen Artikel
19.  von  173  Artikeln
Zum nächsten Artikel

Berichte chronologisch

Juli 2005: Ausstellung: Viva Mexico!

Samstag, 9. Juli, Mexico City, Ortszeit 20.30 Uhr - es war ein langer Tag gewesen, der Flug von München über Amsterdam war mit großer Verspätung gelandet, nach 13 Stunden Flugzeit taten alle Knochen weh - und doch, die erste Frage, gleich am Gate, an unsere mexikanischen Kollegen: 'Können wir noch ins Museum?' Dort, im Museo Nacional de Antropologia, einem der schönsten Museen der Welt, lief seit dem 28. März 'faRAón', die erste große Ägypten-Ausstellung in Mexico, eine Gemeinschaftsproduktion der Ägyptischen Museen in Berlin und München.
Und seitdem hatten uns höchst erstaunliche Informationen erreicht: Seit der Eröffnung täglich Schlangen bis zu 500 Metern Länge, die Zahl der gleichzeitig in der Ausstellung befindlichen Besucher war aus Sicherheitsgründen auf 500 begrenzt worden - und die Kapazität der Klimaanlage musste durch Zusatzgeräte vergrößert werden, auf den Schließtag hatte man bald verzichtet, die täglichen Öffnungszeiten waren verlängert worden, und in den letzten beiden Wochen wurden zugunsten der Individualbesucher keine Gruppenführungen mehr angenommen.

Nun sind gut besuchte Ägypten-Ausstellungen eher die Regel als die Ausnahme, auch Schlangen von Besuchern nicht außergewöhnlich - und doch, die Informationen aus Mexico per Telefon und Email ließen auf eine andere Qualität schließen, klangen anfangs noch etwas ungläubig, wurden schließlich euphorisch. Noch am Eröffnungsabend hatten wir gemeinsam spekuliert: 200 000 werden es wohl werden, der Traum wären 400 000. Nun, in den letzten Tagen, steuerte die Besucherzahl auf die 600 000 zu.

Und so kam zu der Freude über diesen Erfolg allmählich ein banger Unterton hinzu: Wie war die Stimmung der Besucher nach stundenlangen Wartezeiten - zum Schluß in der Regenzeit? Hatten die Sicherheitskräfte die Lage im Griff? Wie sah die Ausstellung nach diesem Ansturm aus, hatte die - sehr aufwendige -Architektur gehalten? Und so hatte die Müdigkeit nach der langen Reise hintan zu stehen, führte der Weg vom Flughafen direkt zum Museum.

Samstag, 9. Juli, Museo Nacional de Antropologia, Ortszeit 21.30 Uhr - eine halbe Stunde vor der Schließung steht immer noch eine gut hundert Meter lange Schlange vor dem Haus: 'Wir werden heute länger öffnen, noch alle Besucher einlassen.' Am Eingang Begrüßung durch den Chef des Sicherheitsdienstes - man kennt sich seit dem Aufbau. In der großen Eingangshalle kommt die erste Überraschung - für uns und die Besucher, die nach langem Anstehen ins Museum kommen: Das Warten ist noch keineswegs zu Ende. Zwar liegt der Bereich der Sonderausstellung gleich rechts, ist der Eingang nur wenige Meter entfernt - doch die Schlange zieht sich durch die große Halle hinaus in den offenen Innenhof, macht dort etliche wohlgeordnete (und lange) Windungen, kehrt in die Eingangshalle zurück, führt in weiteren Kurven zu den Kassenautomaten, um dann endlich Richtung Sonderausstellung abzubiegen - wo dann nur jeweils soviel Besucher eingelassen werden, wie die Ausstellung parallel dazu verlassen. Vom Betreten des Museums bis zum Einlaß also mindestens noch einmal eineinhalb Stunden.

Und nun die zweite Überraschung: Es herrscht eine gelöste, erwartungsfreudige Stimmung. Man unterhält sich, trifft und begrüßt Bekannte in der nächsten Reihe, Kinder spielen - aber kein Drängeln, kein Meckern, keine Hektik. Es ist eine unwirkliche Stimmung: Draußen ist es längst dunkel, eine laue Sommernacht, hier drinnen blickt hell angestrahlt die kolossale Büste des Tutanchamun auf die wuselnde Menge in der Eingangshalle, ein angedeutetes Lächeln in den Mundwinkeln. Eine Videowand zeigt ägyptische Landschaften, altägyptische Tempel und Objekte der Ausstellung, zur Einstimmung für die Wartenden.
Wir betreten die Ausstellung durch den Ausgang, gehen den Besuchern entgegen - und erleben die dritte Überraschung, einen völligen Wechsel der Stimmung. Es ist still, es herrscht eine beinahe sakrale Stimmung. Man geht in nicht abbrechender Reihe an den Objekten vorbei, betrachtet, ja bestaunt sie respektvoll. Man liest jedes Beschriftungsschild und studiert jede Wandtafel, man informiert sich an kleinen Computerterminals, der Videoraum ist gesteckt voll. Eltern tragen kleinere Kinder auf dem Arm, lesen ihnen flüsternd die Beschriftungen vor. Niemand berührt eine der freistehenden Statuen oder Reliefs, niemand sitzt auf einem Sockel oder Podest - das Aufsichtspersonal muß nicht eingreifen. Man hatte uns zuvor versichert, dass dem so sein werde - wir hatten es nicht glauben wollen. Und natürlich ist die Ausstellung in hervorragendem Zustand, als wäre sie gestern eröffnet worden. Ständig ziehen mehrere dienstbare Geister mit ihren Besen die Runde.

Ein kleiner Junge, vielleicht 12 Jahre alt, spricht mich nach längerem Zögern an, wir radebrechen, er mit ein paar Worten Englisch, ich mit meinen zehn Worten Spanisch - er hat mein Bild in der Zeitung gesehen, ich komme doch aus Deutschland. Ein paar Erwachsene treten hinzu, bedanken sich für die Ausstellung - nachdenklich, etwas verwirrt verlasse ich das Museum, vor dem immer noch geduldig Menschen warten. Am nächsten Tag werde ich erfahren, dass die letzten Besucher weit nach Mitternacht das Haus verlassen haben - und dass sich dann schon die ersten Wartenden für den letzten Ausstellungstag eingefunden hattenĀ"

Sonntag, 10. Juli, Museo Nacional de Antropologia, Ortszeit 10.15 Uhr - der erste Weg führt wieder ins Museum, alle Vorschläge für ein anderes Besichtigungsprogramm hatte ich abgelehnt, stattdessen noch einmal das Bad in der Menge, diesmal bei Tageslicht. Zuerst in den Innenhof mit seinem großen Teich mit Lotos und Papyrus (!) und seinem berühmten Brunnen, dem riesigen Pilz mit seinem Wasserfall - leicht betroffen wird mir erst jetzt klar, dass er in den vergangenen drei Monaten abgestellt worden war, denn in seinem Schatten windet sich die Schlange durch den Hof.
Ich äußere den Wunsch, doch hinauszugehen vor das Museum, bis hinaus auf die Reforma, eine der Hauptverkehrsadern der Stadt, um nachzusehen, wie lang die Schlange schon ist, heute am letzten Tag der Ausstellung. Stunden späterĀ"
Was sind alle Schlangen von Tutanchamun (1und II), was die Schlange um die Berliner Nationalgalerie im letzten Sommer bei MoMa, was die Schlange aktuell bei Goya - hätte man es nicht mit eigenen Augen gesehen, man würde es nicht glauben. Gute drei Kilometer lang stehen die Mexikaner an, zuerst auf der Reforma, dann in eine Querstraße, schließlich in langen Windungen durch den Park. Und nicht einzeln, zwei, drei nebeneinander, oft in Großfamilien mit drei Generationen. Es herrscht sommerliche Picknickstimmung, viele haben Klapphocker und Kühltasche dabei, kleine Stände bieten Getränke, Früchte und Süßigkeiten an, im Hintergrund ist die Musik eines kleinen Kinderkarussells zu hören. Entlang den wartenden Menschen bieten fliegende Händler ihre Waren an: schnell gefertigte ägyptische Figürchen (sie sehen alle aus wie eine Mischung aus Bes und Tlaloc, der aztekische Regengott), Traktate zur ägyptischen Chronologie (in Photokopien zusammengeheftet) sowie das absolute Muß: Königskopftuch und Nofretete-Krone, aus Plastik und flächig auf Bügeln befestigt, um sie wie eine Brille hinter die Ohren stecken zu können.

An diesem Sonntag wird die Ausstellung bis 2.30 Uhr morgens geöffnet haben - man hat sich flexibel darauf eingestellt und alle noch Wartenden eingelassen, über 13.000 an diesem letzten Tag. Und man hat allen an diesem Tag (ohne vorherige Ankündigung) freien Eintritt gewährt. Denn die magische Grenze von 600.000 war schon am Samstag erreicht worden, insgesamt waren es 619.896 Besucher gewesen, also im Tagesdurchschnitt knapp 6.000. Nach sorgfältigen statistischen Erhebungen kamen sie zu über 80 % direkt aus Mexico City und entstammten überwiegend der Mittelschicht, X% haben zum ersten Mal das Museum besucht. Und die wichtigste Werbemaßnahme war - die Mundpropaganda.

Montag, 11. Juli, Museo Nacional de Antropologia, Ortszeit 9.15 Uhr - die Arbeit beginnt. In der Zwischenzeit ist die Mannschaft von Hasenkamp eingetroffen, der Kunstspedition, und gemeinsam mit den beiden Kurieren aus Berlin, Karla Kroeper und Frank Marohn, wird der Abbau der Ausstellung vorbereitet. Eigentlich business as usual - aber doch nicht ganz. Die Erlebnisse der letzten Tage beschäftigen uns, immer wieder tauschen wir unser Erstaunen aus, sehen uns in den mexikanischen Zeitungen die Bilder der Menschen in der Ausstellung und in den Warteschlangen an. Die Stimmung ihrer gelösten und geduldigen Vorfreude begleitet uns die nächsten Tage - und wir sind bewegt und ein wenig stolz, dies mit unserer Arbeit bewirkt zu haben. Daß 'faRAón' die bislang erfolgreichste Ausstellung überhaupt in Mexico war, wird darüber fast zur Nebensache.
Immer wieder werde ich in den folgenden Tagen von Journalisten nach den Gründen für diesen Erfolg gefragt. Sie lassen sich klar definieren: Ein starkes Interesse der Mexikaner an ihrer eigenen Geschichte - quer durch alle sozialen Schichten und alle Altersgruppen - und daraus folgend an anderen (antiken) Kulturen; das Thema der Ausstellung - Untertitel 'Der Kult der Sonne im alten Ägypten' -, das wir für den Ausstellungsort Mexiko entwickelt hatten und das auf Analogien zwischen Altamerika und Ägypten angespielt hatte, sowie die hohe Qualität der 150 Objekte, unterstützt vom hohen Standard der Museologie in Mexiko, verkörpert in der Professionalität unserer Partnerinstitution, dem Istituto Nacional de Antropologia e Historia (INAH).

Für uns in dieser Intensität überraschend war die Begeisterungsfähigkeit der Mexikaner, ihre Ernsthaftigkeit gegenüber dem Thema Altägypten, ihr Respekt gegenüber den Originalen. Gern wären wir dem Wunsch nach Verlängerung nachgekommen - allein der Terminplan für die Neuaufstellung des Ägyptischen Museums Berlin im Alten Museum ließ dies nicht zu. Symptomatisch war daher die Frage eines Journalisten im Verlauf der abschließenden Pressekonferenz im Museum: Ob denn die Ausstellung nicht in ein paar Jahren noch einmal in Mexico gezeigt werden könne - damit auch die nächste Generation sie sehen könnte?

Nachtrag: Montag, 25. Juli, Staatliches Museum Ägyptischer Kunst München, Ortszeit 10.30 Uhr - die Kisten mit den Originalen sind wohlbehalten wieder in Deutschland eingetroffen, heute werden die ersten Objekte ausgepackt und wieder in die Dauerausstellung integriert. In einer Arbeitspause erzählt mir unsere Oberaufseherin, dass in den vergangenen Wochen Besucher aus Mexico im Museum waren - und gefragt haben, ob sie denn schon wieder die Stücke sehen könnten, die ihnen aus der Ausstellung im Nationalmuseum wohlvertraut seien. Ab sofort können sie.

Sylvia Schoske
(Artikel der Mitgliederzeitschrift aMun)

Zum vorherigen Artikel
19.  von  173  Artikeln
Zum nächsten Artikel

Überblick

Sie benutzen als Browser CCBot/2.0 (https://commoncrawl.org/faq/) Ihr Browser läßt sich leider nicht genauer ermitteln. | Textversion  | Hinweise zur Barrierefreiheit | Produziert von: RexPublica
Bitte beachten Sie die Hinweise zur Webanalyse