Die Saubohnen gehören zum Sudantag wie der Rotwein zum Dienstag-Vortrag. So war es nicht erstaunlich, dass mehrere besorgte Anrufer sich erkundigten, ob die Einladung zum 27. Juli 2003 in die Remise nach Charlottenburg in diesem Punkt unvollständig sei oder ob man diesmal auf die lieb gewordene Köstlichkeit verzichten müsse. Man musste; denn es war abzusehen, dass die Teilnehmerzahl am Sudan-Tag 2003 weit größer sein würde als üblich. Zwei Vorträge standen auf dem Programm, die nicht nur die Sudan-Freunde aus dem Förderverein und wie immer auch aus dem Münchner Freundeskreis - anlocken, sondern auch die Fachwelt ansprechen würden. So waren nicht nur die Berliner Hochschulen vertreten, sondern auch Kollegen aus Köln, Wien und Paris, und als Ehrengäste konnten wir S. E. Ahmed Gaafar Abdelkarim, Botschafter der Republik Sudan in Berlin, und S. E. Dr. Werner Daum, deutscher Botschafter früher in Khartum und heute in Kuweit, mit seiner Frau Gemahlin begrüßen.
Dr. Salah Mohamed Ahmed,Direktor für Ausgrabungen in der National Corporation of Antiquities and Museums in Khartum, berichtete über das bereits in Gang befindliche Großprojekt des Staudamms am Vierten Katarakt und seine Konsequenzen für die Archäologie. 180 Kilometer Niltal werden ab 2008 unter Wasser gesetzt. 48.000 Menschen müssen in neue Siedlungsgebiete bei ed Damer, Nuri und Debba umgesiedelt werden. Tausende von archäologischen Stätten liegen in diesem nahezu unerforschten Teil des Niltals.
Ein Vergleich mit der Nubian Campaign der sechziger Jahre erscheint zunächst unzutreffend, da spektakuläre Bauten wie Abusimbel, Wadi es Sebua, Kalabscha (und letztlich ja auch Philae) unter den von der Überflutung bedrohten Denkmälern fehlen. Diese Rettungsaktionen waren aber nur die medienwirksame, spektakuläre Oberfläche, unter der Hunderte von Grabungen und Surveys eine gewaltige Menge neuer Funde und Befunde ans Licht brachten, die vom Paläolithikum bis in die jüngste Vergangenheit reichen. Kein anderer Teil des Niltals ist heute archäologisch so gut erforscht wie die 350 Kilometer von Wadi Halfa bis Aswan.
Ähnliches gilt es am Vierten Katarakt zu leisten, und so kann die Nubian Campaign auch als Logistik- und Organisationsmodell für die neue Rettungsaktion dienen. Bei einer ersten internationalen Konferenz in London haben sich bereits mehrere Länder, darunter Deutschland, zur Mitarbeit bereit erklärt. Für einen effektiven Start fehlt aber bislang nicht nur eine solide finanzielle Basis, sondern eine internationale Medienkampagne und eine Koordinierungsstelle, die die Aktivitäten bündelt und zwischen Politik, Bauträgem und Archäologen vermittelt. Gespräche zwischen Dr. Salah, den bei den Botschaftern (Kuweit ist einer der Finanzträger des Staudammprojekts) und dem Ägyptischen Museum haben gemeinsame Schritte zur Lösung dieser Fragen vorbereitet.
Die Arbeit in Naga bildete den mittleren Block der Vortragsfolge. Karla Kroeper beobachtete den Anflug des sudanesischen Staatspräsidenten Omar el Baschir per Helikopter zum Besuch unserer Grabung. Dietrich Wildung stellte eine erste kunsthistorische Analyse der im Amun-Tempel gefundenen Statuen vor. Das Restauratorenteam 'Restaurierung am Oberbaum' berichtete über die Aufstellung der Säulen im Hypostyl des Amun-Tempels und die Anwendung historischer Arbeitstechniken im Steinbruch und entwickelte das Konzept für die Restaurierung der Hathor-Kapelle, das dringlichste Projekt in Naga.
Den Höhepunkt des Sudan-Tages bot Charles Bonnet mit dem Bericht über seine neuesten Entdeckungen in Kerma. Erstmals vor einer breiteren Öffentlichkeit zeichnete er die Ereignisse Mitte Januar 2003 nach, die zur Freilegung eines Statuendepots führten. Bei der Reinigung der Schichtenfolge eines Tempels, der sich bis in die Mitte der 18. Dynastie zurückverfolgen lässt, kam eine Grube zum Vorschein, in der sauber geschichtet zunächst Arme und Beine, darunter die Körper und schließlich die Köpfe von sieben Königsstatuen lagen. Die teils überlebensgroßen Figuren aus Granit zeigen nach Ausweis ihrer hieroglyphischen Inschriften Takarka, Tanwatamani, Senkamanisken, Anlamani und Aspelta, stellen also eine fast lückenlose Herrscherfolge am Übergang von der kuschitischen zur napatanischen Dynastie im Zeitraum von 690 bis 575 v. Chr. dar. Atemlose Stille herrschte im Raum, und dem Simultan-Übersetzer D. Wildung verschlug es die Sprache, als Charles Bonnet den ersten Blick in die mit Statuenbruchstücken gefüllte Grube gewährte.
Der Fund ist historisch und kunstgeschichtlich gleichermaßen bedeutend. Einen fast bis ins Detail gleichen Fund machte George Reisner 1917 im Tempel B 500 am Gebel Barkal, dieselben Könige, derselbe Zerstörungsgrad, ähnliche Fundsituation. Psammetichs H. Feldzug nach Napata im Jahr 592 v. Chr. erscheint noch deutlicher als bisher als ein Akt programmatischer Zerstörung der 'schwarzen Pharaonen' .
Für die Kunst des Nordsudan ist der neu entdeckte Statuenkomplex das Zeugnis technischer Perfektion und stilistischer Meisterschaft, die in nichts hinter den gleichzeitigen Werken im ägyptischen Niltal zurückstehen.
Ein Drittes kommt hinzu: Schon einen Tag nach der Entdeckung setzte ein nicht enden wollender Besucherstrom ein, aus Kerma, aus der näheren Umgebung, von weit her. Für die Bevölkerung der Region ist dieser Fund ein Akt der historischen Selbstfindung, und so ist es eine nachvollziehbare Entscheidung, die Statuen an ihrem Fundort zu belassen und ein lokales Museum zu errichten, mit dessen Bau bereits begonnen worden ist.
Auch ohne Saubohnen zog sich der Abend noch lange hin, mit Charles Bonnet und seiner Kollegin Dominique Valbelle von der Sorbonne, die ihm in diesen aufregenden Tagen assistiert hatte und bei der Premiere in Berlin nicht fehlen wollte.
Und noch jemand war symbolisch auf einem extra frei gelassenen Stuhl in der ersten Reihe anwesend: Trauthilde Körschner, deren Vermächtnis an den Verein alljährlich für einen Körschner-Gedenk-Vortrag verwendet werden soll. Charles Bonnets Bericht war ein würdiger Auftakt.
Dietrich Wildung
(Artikel der Mitgliederzeitschrift aMun)