Am Abend des 3. Mai 2006 bildete der antike Sudan den Auftakt der Vortragsreihe „Archäologie universal“ der Staatlichen Museen zu Berlin - an würdigem Ort, in der Rotunde des Alten Museums. S. E. Omar Siddig eröffnete mit dem Generaldirektor der Staatlichen Museen und der Leiterin des Referats „Dialog mit der islamischen Welt“ des Auswärtigen Amts die Veranstaltung. Auf den Bericht des Direktors des Ägyptischen Museums über die Berliner Grabungs- und Restaurierungsarbeiten in Naga folgte der Vortrag des Generaldirektors des National Board of Antiquities and Museums, Hassan Hussein Idris, über die Zusammenarbeit seiner Institution mit Archäologen aus aller Welt. Dass Berlin dabei eine besondere Rolle spielte, war nicht nur ein Akt orientalischer Höflichkeit, sondern trug der Tatsache Rechnung, dass mit der preußischen Expedition 1844 die Erforschung der antiken Kulturen des Sudan ihren Anfang nahm und heute an vier Brennpunkten der Archäologie des Sudan Berliner Institutionen tätig sind, am Vierten Katarakt, in Meroë, Musawwarat es-Sufra und Naga.
Am 1. Dezember 2006 werden sich Repräsentanten von Politik und Wissenschaft wiederum unter dem Zeichen der Archäologie treffen, in Naga. In einem Festakt, den das sudanesische Kulturministerium und die deutsche Botschaft in Khartum gemeinsam ausrichten, wird der Amun-Tempel nach zehnjähriger Arbeit des Teams des Ägyptischen Museums offiziell wiedereröffnet, mit sudanesischer Musik und Lesungen (arabisch und deutsch) aus den Reiseberichten von Pückler-Muskau und Lepsius. Mit diesem Fest in der Wüste, an dem auch Repräsentanten der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Vereins zur Förderung des Ägyptischen Museums, der Staatlichen Museen zu Berlin und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz teilnehmen wollen, wird eine Zwischenbilanz gezogen und die Aufmerksamkeit auf ein Projekt gelenkt, das beispielhaft für das zunehmende Interesse von Wissenschaft und Öffentlichkeit für die noch vor wenigen Jahren nahezu unbekannten antiken Kulturen des südlichen Nachbarn Ägyptens steht.
Die Grabungen und Restaurierungsarbeiten am Amun-Tempel sind in der Kampagne 2006 weitgehend abgeschlossen worden. Fünf Säulen stehen nun im Hypostyl, als ob sie nie umgestürzt wären, und schließen das Vakuum, das zwischen Tor A und B klaffte, zur architektonischen Einheit. Von weit her gesehen hat der Tempel sein Volumen zurück gewonnen und steht imposant über der Stadt.
Außerhalb der Ostmauer des Tempels bildet die Widderstatue auf ihrem originalen Podest den Gegenpol zu den zwölf Widdern der Zugangsallee und stellt eine Sichtachse zum Tempel F am Fuß des Gebel Naga her, als ob sie vorausblickte auf die Projekte künftiger Kampagnen. Durch die Freilegung der südlichen Außenwand tritt der Tempel nun als frei stehender Baukörper kraftvoll in Erscheinung. Beim Fest im Dezember wird im Sanktuar dank der Unterstützung durch Ingrid Knauf, Mitglied im Kuratorium des Berliner Förderervereins, eine Replik des dort gefundenen Alters stehen, der als hervorragendes Kunstwerk seinen Platz im Nationalmuseum Khartum gefunden hat.
Ein in weitem Abstand gezogener Zaun schützt künftig den Tempel vor den Herden der Schafe, Ziegen, Esel und Kamele, deren Weg zum Brunnen seit Generationen durch das Tempelareal führte. Der Zaun schließt auch den kleinen Tempel Naga 200 ein. Seiner Freilegung galt auch in der Kampagne 2006 die ganze Aufmerksamkeit des Teams um die Grabungsleiterin Karla Kroeper und um die Architektin Alexandra Riedel von der TU Cottbus. Die Reliefs der Innenwände, nur bis in Kniehöhe der lebensgroßen Königs- und Götterfiguren erhalten, zeigen den kraftvollen, dynamischen, überaus plastisch wirkenden Stil der Darstellungen. Von der nach außen umgestürzten Westwand sind zahlreiche sehr gut erhaltene Reliefblöcke geborgen worden, aus denen sich das Bildprogramm rekonstruieren lässt. Erst die nächste Kampagne wird hier den ganzen Umfang der erhaltenen Szenen zeigen; aber schon jetzt sind außergewöhnliche Details erkennbar. Dazu gehört die Darstellung der Göttin Amesemi mit dem Doppelfalken als Kopfputz und einer geradezu perspektivischen Darstellung des Gewandsaums, die hellenistischen Einfluß vermuten lässt.
Beim Fest in der Wüste am 1. Dezember 2006 wird sich die Aufmerksamkeit der Gäste auf den Haupttempel des Amun konzentrieren, der in der schnell einfallenden Abenddämmerung in dezenter Illuminierung erstrahlen wird. Die Nomaden der Wüste werden unter den Gästen sein, denn im Lauf der Jahre gemeinsamer Arbeit ist die antike Stadt ein Teil ihrer Identität geworden. Sagte doch einer von ihnen, er verzichte gerne auf seinen Lohn, wenn er einen der Reliefblöcke in seine Hütte mitnehmen dürfe, um sich vor ihn zu setzen und ihn einfach immer anschauen zu können.
Hassan Hussein Idris hatte offenbar Recht, wenn er in seinem Vortrag in der Rotunde des Alten Museums feststellte, dass die Arbeit der Archäologen kulturelle Identität stifte.
Dietrich Wildung
(aMun 29, S.4-9)