Fünf Monate lang wiesen die Plakate „Hieroglyphen um Nofretete“ unübersehbar den Weg vom Potsdamer Platz zum Kulturforum. Nicht ohne Erfolg. Die Doppelausstellung - das ägyptologische Fundament, aus München übernommen, in der unteren Halle, das kunsthistorische Experiment des Brückenschlags von Altägypten bis in die Kunst der Gegenwart auf der oberen Ebene - schloß mit 120.000 Bes uchern und blieb nicht ohne positiven Effekt für die Nachbarmuseen, Gemäldegalerie, Kunstgewerbemuseum und Kupferstichkabinett, und für die Akzeptanz des Kulturforums als zentraler Standort der Staatlichen Museen.
Unbemerkt von der Öffentlichkeit vollzog sich in diesen Monaten im Vorfeld des Umzugs des Ägyptischen Museums von Charlottenburg auf die Museumsinsel die Generalsanierung des Obergeschosses des Alten Museums am Lustgarten. Das Architekturbüro Hilmer - Sattler -Albrecht versetzte die durch eineinhalb Jahrzehnte Sonderausstellungen ramponierten Räume zurück in ihre Schinkelsche Pracht. Günter Krüger, mit dem das Ägyptische Museum schon viele Ausstellungen realisiert hat, entwarf eine helle, transparente Ausstellungsgestaltung mit weiten Sichtachsen und überraschenden Perspektiven - ganz im Dienst der Kunstwerke und nach dem Wunsch des Museums.
Der straffen Projektleitung durch Dr. Gisela Holan (Staatliche Museen) und Brigitte Rüger (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung) ist es zu verdanken, dass die 38 beteiligten Firmen termingerecht arbeiteten, so dass vier Wochen für die Installierung der 900 Originale und die Gestaltung der Vitrinen zur Verfügung standen und am Ende der Aufbauzeit wie geplant eine gute Woche lang konzentriert an der Beleuchtung gearbeitet werden konnte (Chefsache übrigens).
Am 11. August 2005 warfen kurz vor 22 Uhr die letzten Besucher im Kulturforum noch einen Blick auf Nofretete, und um 23:42 Uhr begrüßte der Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin Prof. Dr. Peter-Klaus Schuster die Königin in ihrer neuen Platz im Alten Museum unter dem Applaus der für Mitternacht geladenen unmittelbaren Projektbeteiligten, allen voran der Repräsentanten des Kuratoriums Museumsinsel. Dieser Verbund führender deutscher und europäischer Unternehmen hat sich die Wiedererweckung der Museumsinsel als Mittelpunkt des kulturellen Berlin zum Ziel gesetzt. Die Rückführung des Ägyptischen Museums auf die Museumsinsel als ein wesentliches Element dieses Programms wurde ausschließlich vom Kuratorium Museumsinsel finanziert, das insgesamt 3 Millionen Euro zur Verfügung stellte und damit hervorragende Rahmenbedingungen für die neue Präsentation des Ägyptischen Musuems schuf. Auch Vorstand und Kuratorium des Vereins zur Förderung des Ägyptischen Museums Berlin waren unter den mitternächtlichen Gästen. Kuratoriumsmitglied Walter Müller (Mercedes-Benz) hatte für einen kleinen Empfang auf dem Altan über der Schinkel-Treppe gesorgt, und so begann der 12. August 2005 als denkwürdiges Datum der Museumsgeschichte in angemessenem Rahmen.
Das Zusammenwirken der Ausstellungskonzeption, der Informationstafeln zur Museumsgeschichte, der Raumtexte, der Objektbeschriftungen (alles zweisprachig), der Audioführung (75 Stationen) und des neuen Museumsführers ergibt eine mühelose Orientierung und führt durch die Ausstellung, die sich auch regelmäßigen Museumsbesuchern sehr neuartig zeigt. Der groß dimensionierte Buchladen - das beste Sortiment zu Altägypten im deutschen Sprachraum - bietet reiche Auswahl zur Nachbereitung.
Vieles ist ungewöhnlich an dieser Präsentation des alten Ägypten in Berlin. Bereits die Fassade des Alten Museums am Lustgarten stimmt auf neuartige Sichtweisen ein. In riesigen Neonbuchstaben leuchtet in der Schinkel-Kolonnade der programmatische Schriftzug ALL ART HAS BEEN CONTEMPORARY, ein Werk des florentiner Künstlers Maurizio Nannucci, das schon in einer kleinen Version Nofretetes Gegenüber im Kulturforum bildete.
Altägypten zuallererst in seiner Kunst zu erleben, ohne „archäologischen Ballast“ (Thomas Mann), das bietet die neue Konzeption in der ersten Hälfte des Rundgangs. Die Skulptur der Ägypter in primär formal und thematisch gegliederten Einheiten zu zeigen, die in sich sekundär historisch geordnet sind, das demonstriert die zwei elementaren Aspekte der ägyptischen Kunst - und Altägyptens überhaupt: Auf der Grundlage einer dreitausendjährigen Kontinuität artikuliert sich die altägyptische Kultur als eine Abfolge beständigen Wandels, unerschöpflicher Kreativität und Lebendigkeit. Diese Konzeption stellt sich entschlossen gegen das Vorurteil der Starrheit, die angeblich Altägypten und seine Kunst kennzeichnet.
Die Gestaltung der Säle unterstreicht die Präsenz der Skulpturen. Sie stehen frei auf großen Podesten in der Raummitte, der Besucher sieht sich im Mittelpunkt ihrer Blicke, offene „Käfige“ betonen das plastische Volumen. Entscheidend ist das Licht - Tageslicht, das durch Verschattung der Fenster gedämpft einfällt und von Kunstlicht unterstützt wird. Je nach Tageszeit und Wetter entstehen ganz verschiedene Stimmungen und Eindrücke.
Wie sehr altägyptische Kunst in unsere Gegenwart hereinreicht, bringt die Positionierung der Nofretete programmatisch zum Ausdruck. Der Blick der Königin geht durch Schinkels Rotunde und Kolonnade hinaus in den Lustgarten, hinein in die Stadt. Die „Ikone der Staatlichen Museen zu Berlin“ wird bereits von der Freitreppe des Alten Museums in entrückter Ferne schemenhaft sichtbar. Vom Altan über der Schinkel-Treppe aus zeigt sich Nofretete eingereiht in die Statuen griechischer Götter, die die Rotunde umziehen, und genau unter ihr steht im Hauptgeschoß der Betende Knabe, seine Arme hoch erhoben, als ob er sich ihr zuwende und das Jahrtausend überwinde, das ihn von ihr trennt.
Die Themenbereiche Alltagswelt, Antiker Sudan; Papyrussammlung, Jenseitswelt und Götterwelt nehmen in Konzeption und Gestaltung die Philosophie der Unmittelbarkeit und Transparenz auf. Großvitrinen zeigen thematische Landschaften, in denen sich historische Gliederungen der Anschaulichkeit unterordnen. Nur ein kleiner Teil der reichen Bestände kann gezeigt werden; Raumtexte und Audioführung weisen immer wieder darauf hin, dass erst 2009 im Neuen Museum die ganze Vielfalt dieser kultur- und religionsgeschichtlichen Abteilungen ausgebreitet werden kann.
Manches wird jedoch schon in den nächsten Monaten und Jahren aus den Magazinen ans Tageslicht kommen. Die Ausstellung im Alten Museum ist auf Variabilität und behutsamen Wandel angelegt; sie ist ein Langzeit-Labor, in dem immer wieder neue Konstellationen erprobt frisch restaurierte Objekte gezeigt werden sollen, um in der endgültigen Präsentation im Neuen Museum optimale Ergebnisse zu erzielen.
Ein wichtiger Aspekt dieser Versuchsanordnungen soll die Zusammenarbeit mit den Nachbarmuseen sein, in deren Mitte Ägypten zurückgekehrt ist. Schon jetzt steht ein Bronze-Kuros aus Samos, den die Antikensammlung zur Verfügung gestellt hat, für die Beziehungen Ägyptens zu Griechenland. Eine späthethitische Gruppenstatue aus Tell Hallaf (Vorderasiatisches Museum) wird die Nachbarschaft zum Vorderen Orient demonstrieren, und die Sudan-Abteilung fordert zum Dialog mit Afrika (Ethnologisches Museum) heraus.
Daß mit der Ausstellung im Alten Museum ein neuer Ansatz zur Begegnung mit Altägypten versucht wird, ist von den Medien nicht unbemerkt geblieben. Carola Wedel hat für das ZDF einen neuen Nofretete-Film produziert und ein Begleitbuch vorgelegt, der Tagesspiegel druckte eine Sonderbeilage zu 'Ägypten im Alten Museum', die Morgenpost steuerte eine Sonderseite bei, die Feuilletons der großen Tageszeitungen würdigten die Konzeption einer primär kunstwissenschaftlichen Annäherung an Ägypten. Nur dem 'Spiegel' war der Umzug der Nofretete Vorwand zu herber Kritik am Konzept für den Wiederaufbau des Neuen Museums - Schnee von vorgestern, denn wir diskutieren nicht mehr, wir bauen.
Am eindrucksvollsten dokumentierte sich das neu erwachte Interesse der Berliner an 'ihrer' Nofretete am Eröffnungsabend. Bis zu zwei Stunden Wartezeit wurden (fast) klaglos in Kauf genommen, um die allzu Bekannte in neuem Licht zu sehen. Und S. E. Mohamed Al Orabi, der ägyptische Botschafter in Berlin, zusammen mit seinem sudanesischen Kollegen Omar Seddik Ehrengast des Eröffnungsabends, genoss es sichtlich, dass sich die deutsche Hauptstadt kulturell über ein altägyptisches Kunstwerk definiert. So konnte sich auch die Staatsministerin für Kultur und Medien, Dr. Christina Weiß, der beruhigenden Gewißheit hingeben, dass die Kultur ihren Beitrag zur internationalen Verständigung leistet, Friedenspolitik auf höchstem ästhetischem Niveau. 'Salam aleikum' waren folglich die Schlußworte des Direktors des Ägyptischen Museums, bevor ein heißes Wochenende mit 10.000 Besuchern über Altägypten an neuem Ort hereinbrach.
Dietrich Wildung
(Artikel der Mitgliederzeitschrift aMun)