Zuerst Ehefrau des Gottes Osiris (Bild 1), dann Mutter des Harpokrates und am Ende heilige Gottesmutter. Was für eine Karriere!
Das Konzept Isis ist im Römischen Reich weit über die Grenzen Ägyptens hinausgetragen worden und reichte vom heutigen Sudan (Bild 2) bis nach Österreich. Ihre Popularität ist im Verlauf der Jahrhunderte kongruent zu ihren zahlreichen Aufgaben gewachsen. So wird sie in den Texten, die auf den Wänden und Decken der Grabkammern in den Pyramiden stehen, als Garantin für den zyklischen, d. h. nie unterbrochenen Kreislauf des Lebens, auch nach dem Tod, beschrieben. In den Texten, die auf Särgen stehen, hat sie zusätzlich dazu Qualitäten als Himmelsgöttin (Bild 3). Zudem ist sie nun nicht nur Ehefrau des Osiris, sondern auch 'Muttergemahlin' des Gottes Re. Des Weiteren steigert sich ihre göttliche Macht: gleichbedeutend mit dem mächtigen Uräus, einer Kobra mit gespreiztem Nackenschild in Drohhaltung, kann sie allein das göttliche Schiff, die Sonnenbarke, beschützen. Sie wird darüber hinaus als Wissende beschrieben: sie kennt die verschlungenen Wege am Himmel und weist diese den Verstorbenen. Es ist vor allem ihre magische Kraft, die zunehmend ihre Beliebtheit erhöht. So ist es auch nicht verwunderlich, dass sie immer häufiger als schützende Göttin verehrt wird. Zugleich wurde ihre Macht gefürchtet: sie bestrafte Verstorbene, die sich schuldig gemacht hatten. Die Zaubermacht der Isis war aber nicht allein Bestandteil der Mythen, sondern sie deckte auch die diesseitigen Bedürfnisse der Menschen. Wegen ihrer besonderen Kraft, die sogar kosmische Katastrophen verhindern konnte, wurde sie von den Bewohnern des Niltals als Heilerin von Krankheiten und Beschützerin vor Gefahren, wilden Tieren sowie feindlichen Mächten angesehen.
Es wird deutlich, dass ihr unglaublich viele Charakterbeschreibungen zugesprochen werden. Ihre einzigartige Stellung wird durch Bezeichnungen wie 'größte Göttin' oder 'Unvergleichliche' deutlich gemacht. Sie vereint das in einer Person, was ansonsten von einer ganzen Gruppe an Göttern geleistet wird: Mutter-, Schutz-, Totengöttin sowie Garantin des Lebens auf der Erde und im Jenseits. So schwer es ist Isis auf nur eine Funktion zu beschränken so schwierig ist es auch ihren Haupttempel zu benennen. Es gab im ganzen Land zahlreiche Orte an denen sie verehrt wurde. Dazu gehören neben anderen Behbet el-Haggar im Norden, Philae im Süden aber auch Qusae, Edfu und Koptos. Ihre Kultstätten wurden zu wahren Pilgerzentren. Am Ende der Pharaonischen Zeit wurde das Konzept Isis das erfolgreiche religiöse Integrationsmodell von erstaunlich expansiver Kraft, das alle weiblichen Göttinnen Ägyptens überflügelte. So wurde sie mit Göttinnen wie Aphrodite (Bild 4), Demeter (Bild 5) und Io gleichgesetzt.
Damit verkörpert sie das Konzept der Allgottheit, welches zugleich für die Vorstellungen der hellenistischen Welt geöffnet wurde. Dies zeigt sich auch im nun veränderten Bild der Göttin, die nun in der Mode der Zeit mit dem attischen Chiton und der Knotenpalla erscheint (Bild 6). Hinzu kommt eine neue Frisur: statt der langen glatten Haare trägt sie nun Korkenzieherlocken. Trotz dieser so fremd aussehenden Bilder bleiben altägyptische Traditionen erhalten. Dies zeigt sich zum Beispiel in einem Hymnus für Isis in ihrem Tempel auf Philae: 'Sie, Herrin des Himmels, der Erde (und) der Unterwelt hat sie entstehen lassen durch das, was ihr Herz ersonnen (und) ihre Hände erschaffen hat.'
Die omnipräsente Isis wurde spätestens seit dem 2./1. Jh. v. Chr. als Universalgöttin mit unzähligen Namen verstanden. Sie ist nun ein Wesen, das über die Naturgewalten, wie das Meer, herrscht, aber auch Moral und Recht vertritt. Ihr rasanter Aufstieg zeigt sich in ihrer Wandlungsfähigkeit: so steht am Ende der jahrhundertelangen Entwicklung das altägyptische Vorbild der Göttin Pate für das Bild der stillenden Maria mit dem göttlichen Kind.
Zwei Dutzend Objekte sind derzeit im Neuen Museum ausgestellt, die Darstellungen der Isis zeigen. Sobald sie wieder Gelegenheit dazu haben: kommen Sie vorbei und entdecken Sie die Vielfalt dieser einzigartigen Göttin!
Dr. Jana Helmbold-Doyé